Wie ich zur Malerei kam

 

Es ist schon sehr sehr lange her, ich war vielleicht drei Jahre alt, da durfte ich auf einem Xylophon herumklimpern. Ich fand das wunderbar: dieser Klang und dann das schöne rotbraune Holz. Vielleicht ein Jahr später stand ich zusammen mit anderen Kindern aus unserem Viertel vor einer Kirchenorgel. Die Frau des Pfarrers spielte uns etwas darauf vor.

Es traf mich wie ein Schlag. So was hatte ich noch nie gehört. Dass ein Mensch mit einer Orgel so eine wunderbare Musik machen konnte. Ich wollte natürlich Organist werden. Mir war klar, dass ich nur mit Hilfe einer Orgel mein damals kindliches Lebensgefühl ausdrücken konnte.

Aber, die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag: mit meinen Händen würde ich nie Orgel spielen können. Ich war sehr traurig, sagte dann aber zu meiner Mutter: „Dann werde ich eben Maler. Mit Farben kann man auch komponieren!"

Ich wusste damals noch nicht, dass ich in eine musische Familie hineingeboren war. Mein Vater war ein begabter Hobbyfotograf. Er verlor aber oft die Geduld, wenn er ein Familienfoto machte. Dann war er manchmal der reinste Diktator. Er war auch ein begabter Baumeister, wenn es darum ging, kleine Holzhäuschen zu bauen. Er brauchte nur eine kleine Skizze, einen Stapel Bretter und Werkzeug. Schon war wieder eine Hütte fertig – für den Garten oder seine Bienen. Schade, dass er aus seinen Talenten nicht mehr gemacht hat. Er war ängstlich und arbeitete lieber bei der Bahn als Beamter. Dass schien ihm sicherer.

Meine Mutter ist in der Nähe des Bauhauses in Dessau aufgewachsen. Mein Großvater hatte dort ein Delikatessegeschäft. Zu seinen Kunden gehörte auch die Frau von Wasili Kandinsky. Die soll sich mal über die Eier für ihren Papagei beschwert haben. Um das Eigelb entdeckte sie nach dem Kochen einen grünen Rand und beschwerte sich, die Eier seien nicht frisch. Dabei ist jener grüne Rand eben ein Zeichen von Frische. Sie war halt die Frau des berühmten Malers und keine Eierexpertin.

Meine Mutter und deren Geschwister besuchten Feste des Bauhauses und waren dankbare Abnehmer von bunten Papierabfällen der Druckerei. Mein im Krieg vermisster Onkel war ein begabter Maler und wollte Architektur studieren.

Die Künstlerfreundschaft zwischen meiner Großmutter mütterlicherseits und Gerhart Hauptmann brachte mir mal einen Triumph im Kampf mit einer Deutschlehrerin ein. Die hatte nämlich eine Autobiografie Gerhart Hauptmanns kurzerhand in eine Kurzgeschichte umtituliert. Ich brachte dann die Zweibändige Autobiografie in die Schule und erzählte von meiner Großmutter, der Dichterin und Künstlerfreundin Gerhart Hauptmanns.

Ich habe übrigens erst vor ein paar Jahren herausgefunden, dass der Onkel meines Vaters einen Jugendbuchverlag gegründet hat, der in der DDR sogar weitergeführt wurde. Mein Großvater mütterlicherseits kam mit 75 Jahren auf die Idee, Gedichte zu schreiben und brachte im Selbstverlag ein paar Bücher heraus.

Sie können sich sicher vorstellen, dass ich keine Probleme mit meinen Eltern bekam, als ich das Gymnasium verlassen wollte um Grafikdesigner zu werden. Im Gegenteil, mein sonst so nörgelnder Vater half mir sogar. Das hatte er auch schon bei meiner Schwester Karin getan, als die Goldschmiedin werden wollte. Andere haben da weniger Glück mit ihren Eltern.

So saß ich dann an einem Septembertag zusammen mit 20 anderen in einem Klassenzimmer in München und hörte mir die Beschreibung der Grafikerausbildung an. Besonders die Zeichenlehrerin wollte uns beeindrucken. Sie zeigte uns perfekte Studien von Schülern der höheren Klassen, und wir waren eingeschüchtert. Kaum einer von uns glaubte, dass er das je schaffen würde. Es war ihre Mode von der „schwere der Ausbildung" zu erzählen: „ Wir werden oft streiten. Sie werden manchmal weinend nach Hause gehen." Dann folgte noch ihre Theorie vom „Kulturschock", der noch auf uns warten würde – der wartet wahrscheinlich heute noch vergeblich.

Ich war nicht gerade eine Leuchte und zuckte eines Tages zusammen, als wir die Bilder von unserer Aufnahmeprüfung zurückbekamen. Meines lag ganz oben und die ganze Klasse lachte. „Wer das gemacht hat", meinte der Lehrer, „war einer der besten bei der Aufnahmeprüfung der letzten zehn Jahre." Das hatte ich über mich schon mal gehört, nur an meinen Noten konnte das während der ganzen Schulzeit niemand merken. Ich war nämlich während der ganzen Ausbildung gehemmt und so ehrlich gesagt eine Pfeife. Eine Ausnahme war nur das Fach Fotografie. Das war einfach eine Offenbarung für mich.

So eine Grafikerschule ist besonders anstrengend, wenn man die halbe Zeit mit Kaffeetrinken in der Kantine verbringt. Das war nämlich unsere Hauptbeschäftigung. Dann gab es noch einige bemerkenswerte Klassenfeste. Gleich auf der ersten Weihnachtsfeier gab es für mich eine Schrecksekunde.

Sie müssen sich vorstellen, ich kam aus einer Eisenbahnerfamilie, wenn auch einer musischen. Mein Vater war überängstlich und verklemmt. Meine beiden älteren Schwestern hatten mich mit den Emanzipationsfantasien jener Zeit quälen wollen, wonach Männer ja nur sexbesessene Monster wären und dann machte die Sybille einen Striptease. Wir hatten die Vorhänge zugezogen, damit man von der benachbarten Berufsschule nicht ins Zimmer schauen konnte. Zu guter Letzt kam noch der Direktor rein. Ich, rot vor Scham rechnete schon fest mit einem Donnerwetter, aber er trank nur ein Glas Sekt, während ein paar von uns damit beschäftigt waren, zwei andere Frauen davon abzuhalten, sich auch noch auszuziehen.

Nach drei Jahren war ich froh, dass alles vorbei war. Die ersten zwei Monate fasste ich keinen Bleistift an. Vor kurzem habe ich Entwürfe aus jener Zeit in der Hand gehabt und mich gewundert, wie genau ich damals Schriftzeichnen konnte. Außer Kaffeetrinken und Festefeiern habe ich doch noch was anderes getan.

Dann folgte das „Loslassen von dem Erlernten", wie es jeder nach einer künstlerischen Ausbildung tun muss. Für mich bedeutete das die Hinwendung zum Fantastischen. Für mich ist das der richtige Weg, denn ich habe gelernt, mich durch Worte bemerkbar zu machen. Wozu also sich noch hinsetzen und Zeit für ein Bild verschwenden, wenn ich es in einem Satz sagen kann, was ich meine.